Retikulozyten

Retikulozyten sind sehr junge, gerade durch das Knochenmark neugebildete Erythrozyten. Sie sind noch nicht vollständig ausgereift und gelten als direkte Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen. Bis aus ihnen reife Erythrozyten werden, dauert es ein bis zwei Tage. Die Bildung und Entwicklung von Erythrozyten bezeichnet man Erythropoese.

Normalerweise befinden sich Retikulozyten noch im Knochenmark, ein sehr geringer Anteil im Blut ist jedoch normal. Abweichende Werte können auf unterschiedliche Störungen im Körper hinweisen.

Wie kann man Retikulozyten und Erythrozyten auseinanderhalten?

Reife Erythrozyten enthalten weder einen Zellkern noch Erbinformation oder sonstige Zellorganellen. Retikulozyten hingegen schon. Dies erkennt man unter dem Mikroskop durch die netzartige Struktur der RNA und des Endoplasmatischen Retikulums (eine Zellstruktur, in der Stoffe innerhalb von Zellen transportiert werden). Daher haben die Retikulozyten auch ihren Namen: „Rete“ ist lateinisch und bedeutet Netz.

Ansonsten ähneln diese Vorläuferzellen in Form und Größe den Erythrozyten. Mitunter sind sie nur etwas größer.

Retikulozyten aus medizinischen Gründen bestimmen

Eine gewöhnliche Blutuntersuchung bestimmt normalerweise keine Retikulozyten. In manchen Fällen ist eine Bestimmung der Anzahl von Retikulozyten aber angebracht. So zum Beispiel bei:

  • Anämien (Blutarmut)
  • Leukämie
  • Eisenstoffwechselstörungen
  • Erfolgskontrolle einer Therapie von Eisen- oder Vitaminmangelerscheinungen
  • Nach einer Stammzelltransplantation
  • Behandlung mit Epo

Die Anzahl an Retikulozyten gibt vereinfacht ausgedrückt Auskunft über die Fähigkeit deines Knochenmarks, rote Blutkörperchen zu bilden. Aus diesem Grund wird sie häufig dann bestimmt, wenn der Verdacht auf eine Anämie oder sonstige Leistungsstörungen des Knochenmarks besteht. Vor allem nach Mangelerscheinungen oder einer erfolgten Stammzelltransplantation ist es wichtig zu wissen, ob die Blutbildung wieder regelgerecht abläuft.

Wie wird die Retikulozytenzahl gemessen?

Die Retikulozyten werden etwas anderes gemessen, als dies bei Erythrozyten der Fall ist. Eine Möglichkeit ist die Auszählung unter dem Mikroskop. Dabei trägt man eine kleine Blutprobe auf eine Glasplatte (Objektträger) auf, färbt sie speziell an und zählt sie dann mikroskopisch nach Retikulozyten ab. Anschließend rechnet man den Wert auf die Gesamtmenge an Blut hoch.

Moderne Verfahren beruhen auf der sogenannten Durchflusszählung. Hierzu behandelt man die entnommene Blutprobe so vor, dass das Blut nicht mehr gerinnen kann. Anschließend färbt man es ebenfalls an und gibt es in ein spezielles Gerät. Ein Laser tastet das Blut ab und errechnet die Retikulozytenzahl.

Welche Werte für Retikulozyten sind normal?

Gemessen an der Gesamtmenge der roten Blutkörperchen liegen im Blut normalerweise nur sehr geringe Mengen an Retikulozyten vor. Die Normalwerte unterscheiden sich je nach Geschlecht und Alter. Als Norm für Erwachsene gilt (bezogen auf die Gesamtzahl an roten Blutkörperchen) ein Wert von 0,5 – 2,0 Prozent. Das bedeutet, dass nur diese kleine Zahl wirklich Vorläuferzellen sind, alle anderen 98 – 99,5 Prozent entfallen auf reife Erythrozyten.

Labore messen die Menge an Retikulozyten aber eher in Promille. Das bedeutet, sie errechnen die Menge an Retikulozyten auf 1.000 Erythrozyten. Viele Quellen benennen hierbei einen Normalwert von 3 – 18 Retikulozyten auf 1.000 roten Blutkörperchen. Die Referenzwerte der Labore unterscheiden sich teilweise geringfügig.

Erhöhte Retikulozytenwerte (Retikulozytose)

Zu viele Retikulozyten deuten auf eine erhöhte Aktivität des Knochenmarks hin. Stell dir folgendes Szenario vor: Du musst eine Aufgabe innerhalb kürzester Zeit und unter großem Druck erfüllen. Da kann es passieren, dass das Ergebnis etwas darunter leidet. So ist es hierbei auch:

Durch die schnelle Bildung der Erythrozyten gelangen auch vermehrt Vorläuferzellen in den Blutkreislauf. Das ist beispielsweise der Fall, wenn du dich in sehr großer Höhe aufgehalten hast. Den dort herrschenden Sauerstoffmangel versucht dein Körper dadurch auszugleichen, dass er viel mehr Erythrozyten bildet. Mehr von ihnen können schließlich auch mehr Sauerstoff aufnehmen. So wirkt der Körper dem Mangel aktiv entgegen.

Weiter Ursachen sind:

  • Vorangegangene starke Blutungen
  • Diabetes mellitus
  • Ansprechen auf eine Therapie bei Folsäure-, Eisen- und Vitamin-B12-Mangel
  • Erholung nach einer Knochenmarkserkrankung

Eine Retikulozytose liegt vor, wenn mehr als 18 Retikulozyten auf 1.000 rote Blutkörperchen vorliegen.

Erniedrigte Retikulozytenwerte

Ist die Retikulozytenzahl erniedrigt, liegt meistens eine Anämie bzw. Blutbildungsstörung vor. Dein Knochenmark bildet dann aus irgendeinem Grund zu wenig rote Blutkörperchen. Typische Ursachen hierfür sind:

  • Eisenmangel (siehe hierzu auch Eisenmangelanämie)
  • Vitamin-B12-Mangel
  • Folsäure-Mangel
  • Leukämie
  • Chemo-/Strahlentherapie
  • Bösartige Erkrankungen

Die Bestimmung der Retikulozyten gehört also nicht zu den Standard-Laboruntersuchungen. In einigen Fällen ist sie aber sehr wichtig. Vor allem, um nach überstandenen Mangelerscheinungen oder Knochenmarkserkrankungen zu überprüfen, ob die Blutbildung wieder adäquat verläuft und die Blutzellen deinen Körper mit ausreichend Sauerstoff versorgen.

Quellen und weiterführende Informationen

  • Brandes R, Lang F, Schmidt RF. Physiologie des Menschen (mit Pathophysiologie). 32. Auflage, Springer-Verlag, Berlin, 2019
  • Bain BJ, Kreuzer KA. Das Blutbild: Diagnostische Methoden und klinische Interpretation. Walter de Gruyter, Berlin/Boston, 2018
  • Lohmann M. Laborwerte verstehen. 5. Auflage, Mankau Verlag, Murnau, 2018

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